Tuesday, March 9, 2010

Meine chinesische Erbe

Das ist eine Sache, die mich schon seit Längerem beschäftigt. Seit Längerem denke ich daran, etwas darüber zu schreiben, und doch habe ich es immer wieder vor mich geschoben. Ich fand die Ereignisse nicht peinlich, aber trotzdem immer noch sehr unangenehm.

Seit längerem lebe ich in Deutschland in eine Art und Weise, wo ich so viel wie möglich meine chinesische Erbe (kulturellem Einfluss) ignoriere. Manchmal kokettiere ich damit, wenn ich zum Beispiel unter Freunden sage:"Wie kannst Du mir sowas sagen, schließlich bin ich ein Chinese!" Aber vor allem im Berufsleben lebe ich eher wie ein Anti-Chinese: Ich benutze sehr direkte und harte Sprache, wenn ich meinen Standpunkt oder Meinung sagen möchte. Ich gehe sehr zielgerichtet Probleme an, ohne Umschweife und Umwege. Ich habe immer gedacht, dass es mir das alles sehr gelungen ist. Wie das oft zitierte Stereotyp des Konvertiten gehe ich oft auch bewusst über die Maße hinaus und bin in meine Sprachauswahl oder Vorgehensweise auch besonders direkt. Ich habe geschmunzelt, und auch ein wenig innerlich gefreut, als am letzten Tag unseres CSC Einsatzes in Indien meine internationale Kollegen über mich sagten: "Ting is very german."

Seit letzter Mai arbeite ich nun in einem Großprojekt in einem der Entwicklungsteams. Kerim und ich waren die ersten Teammitglieder und dementsprechend haben wir auch das gesamte restliche Team aufgesetzt und eingearbeitet. Eines Morgens rief uns dann unser Projektleiter zusammen zum Kaffeetrinken in die Cafeteria und stellte uns die Frage, wer von uns den Entwicklungsteamleiter werden möchtet. Da keiner von uns sich vorpreschte, bestimmte der Projektleiter Kerim als Entwicklungsteamleiter und ich sein Stellvertreter.

Zum Jahreswechsel beschließ Kerim, die Stelle des Teamleiters abzugeben. Es ging also darum, einen neuen Teamleiter zu suchen. Da Kerim und ich uns einander sehr gut verstehen, ging er davon aus, dass ich genau wie er, die Stelle nicht haben will, was ich ihm gegenüber nicht verneint habe. So kam es, dass jemand anders dann als Entwicklungsteamleiter ernannt wurde.

Erst zu diesem Zeitpunkt habe ich festgestellt, dass ich einen großen Fehler, oder auch mehreren großen Fehler, gemacht habe.

Natürlich war es so gewesen, dass ich seit Beginn des Projektes daran gestrebt habe, den Entwicklungsteamleiter zu werden. Wie Kerim später zutreffend gesagt hatte, hatte ich zwei Mal die Chance dazu gehabt. Und natürlich hat er richtig gefragt, warum ich das nicht gemacht habe, wenn ich es gewollt habe. Und der Grund dafür ist das, was mich bei der ganzen Sachen richtig ärgert und mich auch so sehr beschäftigt. Und das ist genau meine chinesische Erbe: Es ist ungeschickt, wenn man aktiv sagt, dass man einen Posten haben will. Es ärgert mich, weil ich mir so sehr Mühe gemacht habe, dass ich diese ganze Getue (Signale aussenden, nicht direkt ja oder nein sagen) zu vermeiden, und dass es mich doch über so lange Zeit beeinflusst hatte, bis ich meinen Fehler erkannte und eingestand.

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